Alles über die Gattung Xiphophorus

...der Berliner Schwertträger in Hamburg gezüchtet?

Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Dieter Gentzsch, Kitzscher

Die beiden Zuchtformen sind ein gutes Beispiel für aussagekräftige und zweifelsfreie Trivialnamen. Es erschien aber ratsam die Entstehungsgeschichte des Hamburger und Berliner Schwertträgers genauer zu untersuchen. Die umfangreichen Recherchen in den damaligen beiden aquaristischen Zeitschriften (Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde und Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde), vor allem der Vereinsberichte u. ä. ergab, dass die Aussage der Hamburger Schwertträger sei in Berlin und der Berliner Schwertträger in Hamburg gezüchtet worden, weitgehend verkehrt ist.

Vielmehr wurden nach 1910 in allen Teilen Deutschlands zahlreiche Kreuzungen zwischen Xiphophorus hellerii und X. maculatus durchgeführt, wobei jeweils Tiere mit sehr unterschiedlichen Färbungen auftraten, die teilweise die Merkmale des Hamburger und/oder Berliner Schwertträgers aufwiesen. Die Primärquelle und eine Berichtigung beweisen, dass der angebliche Hamburger Schwertträger, der von Herrn Jahn von Berlin nach Hamburg überführt wurde, ein Berliner Schwertträger war. Die umfangreichste und exakteste Beschreibung der Entstehung eines Hamburger Schwertträgers gibt es aus Hamburg. Kein Hinweis wurde dafür gefunden, dass der Berliner Schwertträger von einem Hamburger gezüchtet wurde.
 

 

Abb1: Hamburger Schwertträger, Weibchen

Foto: Dr. Dieter Gentzsch

 

An der Züchtung des Hamburger und des Berliner Schwertträgers waren Aquarianer aus ganz Deutschland beteiligt, wobei nicht mehr nachzuweisen ist, welchen Anteil die Kreuzungen durch die einzelnen Aquarianer bei den heutigen Stämmen haben.

Der Nachweis der wahren Entstehungsgeschichte der beiden Zuchtformen ist ein Beispiel für Populismus wie er bis heute in der gesamten Gesellschaft immer wieder auftritt.

Abb2: Hamburger Schwertträger, Männchen

Foto: Dr. Dieter Gentzsch

 

Es ist eine weit verbreitete Ansicht bei Aquarianern, dass der Hamburger Schwertträger in Berlin und der Berliner Schwertträger in Hamburg gezüchtet wurde. Der bekannteste und vielseitigste Aquarianer der DDR und besonderer Freund der lebendgebärenden Zahnkarpfen, Helmut Stallknecht, behauptete dies auch in seinen Vorträgen. In seinem Buch schrieb er etwas vorsichtiger:

 
Zitat von Stallknecht (1989)

…“ sind die schwarzen Schwertträger sehr wahrscheinlich zuerst in Berlin entstanden, aber durch Vermehrung und Verbreitung von Hamburg aus bekannt geworden, während es bei der Berliner Kreuzung genau umgekehrt geschah“ (Stallknecht 1989).

Abb 3: Hamburger Lyra-Schwertträger, Männchen

Foto: Dr. Dieter Gentzsch

 

Nach 1900 hatten die lebendgebärenden Zahnkarpfen eine umfangreiche Verbreitung in den Aquarien gefunden. Es ist deshalb keine Überraschung, dass es vor allem zwischen den heutigen Arten Xiphophorus hellerii (Synonym X. brevis, X. guentheri, X. helleri, X. rachovii, X. strigatus u. a.) und X. maculatus (Synonym Platypoecilus maculatus, P. maculatus pulcher, P. maculatus rubra u. a.) in größerem Umfang ungewollt und/oder gezielt zu Kreuzungen gekommen ist. Erfreulicherweise ist heute das Einsehen der älteren Literatur für den Autor einfacher als zu DDR-Zeiten. Um die Frage der Entstehungsgeschichte der beiden Zuchtformen genauer zu erforschen war es neben der Auswertung der Fachartikel vor allem notwendig, die zahlreichen kurzen Mitteilungen (Vereinsnachrichten, Fragen und Antworten u. a.) der damaligen beiden aquaristischen Zeitschriften auszuwerten.

 

Abb 4: Berliner Lyra-Schwertträger, Männchen.

Foto: Dr. Dieter Gentzsch

 

Die bisher ausführlichsten Angaben über die Entstehung der beiden Zuchtformen sind bei Jacobs (1969) zu finden, wobei die Fehler über die Entstehungsorte nicht enthalten sind.

 

 

Die Bezeichnungen Hamburger und Berliner Schwertträger – gute Beispiele für aussagekräftige Trivialnamen

 

Bei diesen Namen haben die Aquarianer eine allgemein verständliche Vorstellung über das grundsätzlich unterschiedliche Aussehen der beiden Zuchtformen. Der Hamburger Schwertträger hat einen schwarzen Körper, bei der nur an der Brustpartie (rot, gelb, wildfarben) und den Flossen die Grundfarbe sichtbar wird. Guaninglanz auf den Schuppen beugt den Melanosarkomen vor. Beim Berliner Schwertträger treten zahlreiche schwarze Flecken auf dem Körper, der Dorsale und der Caudale bei roter Grundfarbe des Körpers auf.

Natürlich treten bei den phänotypischen und genetischen Fragen der Unterscheidung der beiden Zuchtformen noch ungeklärte Fragen auf. Auch gibt es bei der Bewertung auf Ausstellungen immer noch Streitfragen, weil innerhalb der beiden eine beachtliche Vielfalt auftritt. Es würde aber zu weit führen im Rahmen dieser Arbeit darauf näher einzugehen. Wichtig ist aber, dass die beiden Zuchtformen immer problemlos unterschieden werden können und damit zwei gute Beispiele für Trivialnamen sind.

 

Seit 1910 Durchführung zahlreicher Kreuzungen von Xiphophorus-Arten

 

Wahrscheinlich erfolgte 1907 durch B.Kuhnt der Erstimport von X. maculatus und 1909 durch W. Schroot von X. hellerii (Arnold 1909). Erst danach waren Kreuzungen der beiden Arten möglich. Bemerkenswert ist seine Mitteilung, dass bei allen Xiphophorus-Arten schwarzgefleckte vorkommen.

Aus Dresden wird 1911 über Bastardmännchen des Züchters Simm von X. helleri var. Guentheri x Platypoecilus maculatus berichet (Anonym 1911). Folgendes ist davon besonders erwähnenswert: “...dasselbe vereinigt fast vollständig die Farben beider Arten...Das Schwert ist ca. 3 mm lang...An der Basis der Schwanzflosse befinden sich die für die Platypoecilus-Arten typischen schwarzen Flecken...an den Körperseiten leuchtendes, strahlendes Orangerot...“ Interessant ist bei dieser Veröffentlichung, dass es keinen Hinweis zu einer Färbung wie beim Berliner oder Hamburger Schwertträger gibt. Vermutlich ist dies aber der erste Bericht über eine erfolgreiche Kreuzung von Xiphophorus-Arten.

Reuter (1912) schreibt: „Eine Kreuzung zwischen lebendgebärenden Zahnkarpfen ist bisher mit Sicherheit noch nicht beobachtet. Alle Meldungen über eine gelungene derartige Kreuzung waren nicht einwandfrei...“

Bemerkenswert ist auch die Mitteilung von Arnold (1912), dass er bei F. Mayer, Hamburg vollständig sammetschwarz gefärbte und gefleckte Jungtiere von Platypoecilus maculatus gesehen hat. Mit Sicherheit ist aber damit zu rechnen, dass diese Herkunft bei der Züchtung des Hamburger Schwertträgers keine Rolle gespielt hat.

Herr Eipelt zeigt in Berlin einen fast schwarzen Helleri (Anonym 1912a). Über die Elterntiere wird nichts mitgeteilt. Es wird fälschlicherweise vermutet, dass Inzucht die Ursache ist.

 

Abb. 5: Kreuzungsmännchen mit Krebsbildung zwischen Xiphophorus strigatus (= hellerii) x

Platypoecilus maculatus var. pulchra (aus Haffner 1913) - Hamburger Schwertträger

 

 

Abb. 6: Kreuzung zwischen Xiphophorus strigatus (= hellerii) und Platypoecilus maculatus var. pulchra (aus HAFFNER1913) - Hamburger Schwertträger.

 

Bei Anonym (1912b) wird die Aussage von Reuter (1912) von Nürnberger Aquarianern bezweifelt, dass es bisher noch Beweise für die Kreuzbarkeit von lebendgebärenden Zahnkarpfen gibt und weiterhin Folgendes angeführt:..“Herr Lösslein spricht hierauf über die Möglichkeit der Kreuzung lebendgebärender Zahnkarpfen...Ein Platypoecilus maculatus-Weibchen...hatte abgelaicht, wovon die Hälfte ungescheckt und die andere jedoch fast schwarz war...ist ein 1 cm langes Schwert zu sehen...Also eine Kreuzung Xiphophorus hellerii mit Platypoecilus maculatus var. pulchra...“ Bemerkenswert ist auch die Angabe, dass der Züchter ein Herr Gg. Mitterer war, der auch Tiere für die weitere Verbreitung abgab (erstmals völlige schwarze Tiere).

Haffner (1912) aus Nürnberg bestätigt die Angaben von Anonym (1912b) und setzt sich dafür ein, dass derartige schöne Bastarde im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Meinung erhalten werden sollten. Seine beiden Abbildungen und der Text deuten darauf hin, dass die Tiere mehr dem Berliner als dem Hamburger Schwertträger ähnelten.

 

Abb. 7: Nachzuchtmännchen aus der Kreuzung Xiphophorus strigatus x Platypoecilus maculatus puJchra (aus HAFFNER 1913) - Hamburger Schwertträger.

 

Zwei Aquarianer berichten aus Hannover über die ungewollte Kreuzung von X. helleri-iMännchen x gefleckten Platypoecilus-Weibchen mit tiefschwarzen Nachkommen, wobei (erstmalig?) der Farbkrebs als Geschwüre und Blasen erwähnt wird (Anonym 1913a). Schreitmüller (1913) führt die oben erwähnten schwarzen X. hellerii von Eipelt fälschlicherweise auf Inzucht und die in der Natur vorkommenden gefleckten Tiere zurück.

 

Abb. 8: Zweite Generation von angeblich "schwarzen" Xiphophorus (aus BRÜNING 1916a) - Berliner Schwertträger.

 

Bei Anonym (1913c) erklärt Herr A. Meyer ehrenwörtlich, dass es sich bei dem Xiphophorus rachowi var. mit den zwei schwarzen Flecken keinesfalls um eine Kreuzung mit Platypoecilus maculata oder anderen Xiphophorus-Arten handeln kann.

Bereits im Frühjahr 1913 wurden in Limbach(Sachsen) Männchen von Platypoecilus maculatus var. rubra mit X. helleri gepaart (Endmann 1915). Es entstanden sehr unterschiedliche Nachkommen, unter anderen schwarz gefleckte.

In Münster /Westf. hat 1913 ein Schüler eine Anzahl tiefschwarzer Tiere nach der Paarung von X. helleri und Platypoecilus maculatus var. rubra erhalten (Preuss 1913).

Haffner (1913) aus Nürnberg zeigt in seiner Veröffentlichung drei eindeutige Abbildungen mit Hamburger Schwertträgern, wobei ein Tier deutlichen Farbkrebs erkennen lässt, der als Schuppensträube bezeichnet wird. Sein Beitrag enthält die damals besten Bilder des Hamburger Schwertträgers. Er weist nochmals darauf hin, dass es sich um ein Kreuzungsprodukt von Xiphophorus strigatus (Anm. Autor: Syn. v. X. hellerii) x Platypoecilus maculatus var. rubra handelt und nicht um Xiphophorus Rachovi.

Ein Herr Böttcher aus Leipzig zeigt 1915 Nachkommen der Paarung X. helleri-Männchen und Platypoecilus-Weibchen mit tiefschwarzer Sprenkelung und zunehmender Schwarzfärbung am Körperende (Anonym 1915a).

Über erfolgreiche Hybriden zwischen X. helleri-Weibchen und Platypoecilus-Männchen var. rubra wird auch berichtet aus Hannover durch Herrn Klinge (Anonym 1915b), Herrn Niemann aus Mülheim/Ruhr (Anonym 1915c) und aus Gera durch die Herren Krätzschmar und Weise (Anonym 1915d). Bei diesen letzteren drei Mitteilungen wird im wesentlichen nur darauf hingewiesen, dass die Nachzuchten sehr unterschiedlich waren.

 

Abb. 9: Konstante Nachzucht 2. Generation von angeblich "schwarzen" Xiphophorus (aus BRÜNING 1916a) - Berliner Schwertträger,

 

Die Behauptung, dass der Hamburger Schwertträger in Berlin gezüchtet wurde, ist sicherlich auf den Artikel von Brüning (1916a) zurückzuführen. Die wichtigsten Ausführungen dazu sind: ...“Nun tauchte ein Gerücht auf, dass ein von Hamburg nach Berlin verzogener Liebhaber einen schwarzen Xiphophorus haben solle...Vor einiger Zeit aber hieß es, der „schwarze“ Xiphophorus sei doch vorhanden zwar nicht in Berlin, sondern hier in Groß-Hamburg...Meine sofort angestellten Nachforschungen führten mich zu Herrn Jahn-Altona...seine Fische genau anzusehen...und Skizzen...anzufertigen...So kann ich denn nun den „schwarzen“ Xiphophorus den Lesern der „Wochenschrift“ im naturgetreuen Bilde vorführen...und beschreiben...Der „schwarze“ Xiphophorus ist aus einer Kreuzung zwischen dem „roten“ Platypoecilus... und Xiphophorus helleri entstanden...Aus dem ersten Wurf der Kreuzlinge sehen wir in Abb.1 ein konstantes Pärchen. Oben das Weibchen hat die schöne orangerote Grundfärbung des Platypoecilus und ist mit tiefschwarzen Flecken (Anm Autor: ist typisch für Berliner Schwertträger!), zwischen denen auf der oberen Körperhälfte eine Anzahl Perlmutterflecke hell aufleuchten...Herr Jahn meinte,...daß die Umbildung der Afterflosse in ein Kopulationsorgan beim Männchen erst spät eintritt...„

Bemerkenswert ist, dass die abgebildeten Tiere trotz des Titels der Arbeit keine „schwarzen Helleri“ zeigen und auch nicht beschrieben werden. Diesen Fehler berichtigt Brüning (1916c) in einer weiteren Veröffentlichung selbst, indem er schreibt:...“Den von mir in Nr. 11 beschriebenen Fisch (Abb. 2), den wir lieber den „Gescheckten Xiphophorus“ (Anm. Autor: Berliner Schwertträger!) nennen wollen...“. Wenn man letzteren Satz und damit die Berichtigung der Primärquelle beachtet hätte, wäre nicht die falsche Behauptung aufgetreten, dass von einem Berliner Züchter der schwarze Schwertträger nach Hamburg gebracht wurde und damit als Hamburger Schwertträger bezeichnet wurde. Vielmehr hat der Berliner Züchter Jahn einen Berliner Schwertträger nach Hamburg gebracht.

 

In einer besonders bemerkenswerten Arbeit teilt Mädel (1916) Folgendes mit:“...will nachstehend einen wirklich schwarzen Xiphophorus beschreiben, der von meinem Vereinsfreunde, Herrn W. Hoffmann (Verein „Linné“, Hamburg-Barmbeck) durch Kreuzung von Xiphophorus helleri-Weibchen und Platypoecilus-Männchen (rot) herausgezüchtet wurde...Die Kreuzungsprodukte haben eine wunderbare, tief blauschwarze Färbung, jede einzelne Schuppe ist schwarz eingefaßt...Hoffmann sagte mir, daß er 1912 drei Xiphophorus-Weibchen mit einem Platypoecilus-Männchen (rot) zusammensetzte,...eins der Weibchen gebar, und daß die Jungfische schwarze Färbung hatten. ..Nachdem diese Jungfische großgezogen waren, erhielt H. von diesen im Herbst 1914 die erste Nac hzucht, so daß die Entwicklung bis zur Geschlechtsreife 2 Jahre währt. Diese Nachzucht war in der Färbung immer intensiver, und kam so diese tief blauschwarze Färbung zustande...“

Diese Veröffentlichung ist die umfangreichste Beschreibung der Entstehungsgeschichte eines Hamburger Schwertträgers nicht aus Berlin, sondern aus Hamburg!

 

Abb. 10: Xiphophorus brevis (Syn. X hellerii) typischer Schwertträger, der keinesfalls ein Hybrid mit X. maculatus ist (aus BRÜNING 1916b).

 

Endmann (1915) begann in Limbach/Sa. im Frühjahr 1913 mit der Kreuzung von männlichen Platypoecilus maculatus und unbefruchteten weiblichen X. helleri. Es wurden viele schwarzgefleckte Fische geboren, die sich problemlos weiter vermehrten. Völlig schwarze Tiere werden dabei noch nicht erwähnt. Endmann (1916) schreibt: “Mit großem Interesse habe ich in Nr. 11 (Anm. Autor: gemeint ist Veröffentlichung von Brüning 1916a) unserer „Wochenschrift“ Ihren Artikel über den schwarzen Xiphophorus gelesen. Ueber diese Kreuzung habe ich bereits in der „Wochenschrift“ Nr. 6 berichtet. Hätte ich damals eine Ahnung gehabt, daß in Hamburg ebenfalls ein Liebhaber diese Kreuzung besitzt...“ Es ist also der Hamburger Schwertträger auch in Limbach/Sa. gezüchtet worden.

Lorenz (1916) hat in Bautzen nach einigen Bemühungen auch den „schwarzen Xiphophorus“ gezüchtet und bietet Tiere zum Austausch zwecks Blutauffrischung an.

Wöhlert (1922) gibt eine gute Übersicht über lebendgebärende Bastarde, wobei er u. a. darauf hinweist, dass um 1911/1912 die gänzlich schwarz gefärbten (Anm. Autor: Hamburger Schwertträger) und die schwarz mit rot gesprenkelten Schwertfische (Anm. Autor: Berliner Schwertträger) aufgetreten sind.

Breider (1949) weist darauf hin, dass sich die Wissenschaft erst ab 1928 mit der Überproduktion an bösartiger Pigmentbildung nach Artkreuzungen beschäftigt hat wie dies bei der Entstehung des Hamburger und Berliner Schwertträgers der Fall war.

 

 

Einige ergänzende Hinweise zum besseren Verständnis der Entstehungsgeschichte der beiden Zuchtformen

 

Wöhlert (1922) schreibt weiterhin:... „Soweit ich mich entsinne, entspann sich damals ein heftiger Streit unter den Wissenschaftlern und Liebhabern über die Echtheit dieses Fisches (Anm. Autor: X. rachovii als natürliche Art). Sie sollten angeblich von hier nach Holland gesandt worden und von dort aus auf dem Seewege wieder nach hier gelangt sein und wurden anfangs als Importe angesprochen...“ Der angesprochene Streit stellt mit seinen Beschimpfungen und Verdächtigungen nach meiner Meinung den bösartigsten in der über 100-jährigen Aquaristik-Geschichte der lebendgebärenden Zahnkarpfen dar. Es wäre sicherlich sehr interessant die genaueren Ursachen und Sachverhalte näher zu erforschen. Im Folgenden werden dazu nur Ergänzungen gegeben, die zum besseren Verstehen der Entstehung der beiden Zuchtformen vorteilhaft sind.

Vereinfacht dargestellt ging es bei den verbitterten Auseinadersetzungen darum, ob es bei der zunächst als Xiphophorus brevis, später als X. rachovii, danach als Synonym zu X. helleri bestimmten Herkunft um eine Varietät des X. rachovii oder um eine Kreuzung von X. rachovii oder X. helleri x Platypoecilus handelte (Milewski & Kammerzell 1916). Letzteres hätte bedeutet, dass diese Herkunft von den gleichen Arten wie der Hamburger und Berliner Schwertträger abstammte. Der Hamburger Züchter F. Hohmeier hatte jedoch 1914 von einem aus Mittelamerika kommenden Seemann drei Weibchen dieser gescheckten Schwertträger erhalten (Brüning 1916b). Diese wurden unter anderem auch von B. Kuhnt erfolgreich nachgezogen, bei deren Besichtigung Stansch (1916) richtig feststellte:...

„war keine Kreuzung, sondern ein richtiger gescheckter Xiphophorus“ (Anm. Autor: X. hellerii).

Zusamenfassend kann man feststellen, dass die beiden Zuchtformen nur durch die Kreuzung von X. hellerii x X. maculatus entstanden sind und die zahlreichen Behauptungen über die angebliche Entstehung von X. brevis und X. rachovii durch Hybridisierung falsch sind und deshalb in dieser Arbeit weitgehend vernachlässigt werden können.

 

 

Schlussfolgerungen über die Entstehungsgeschichte des Hamburger und Berliner Schwertträgers

 

Anfang des 20. Jahrhunderts waren die lebendgebärenden Zahnkarpfen die verbreitetsten tropischen Zierfische in den Aquarien geworden. Es ist deshalb keine Überraschunbg, dass es in einem großen Umfang zu ungewollten und gezielten Kreuzungen besonders zwischen Xiphophorus hellerii (damals unter den Synonymen X. helleri, X. brevis, X. rachovii u. a.) und X. maculatus (damals unter dem Synonym Platypoecilus maculatus) kam. Dies bestätigen neben einigen ausführlichen Artikeln zahlreiche Vereinsberichte u. a. in den beiden aquaristischen Zeitschriften eindeutig. Die Körperform und das langeSchwert konnten sicherlich schnell durch eine Rückkreuzung mit X. hellerii erreicht werden, worüber allerdings in der Literatur relativ wenig berichtet wurde.

Bei den oben genannten Literaturhinweisen wurde besonders Wert darauf gelegt, dass die Städte der jeweiligen Züchter genannt werden. Es zeigt sich dabei zweifelsfrei, dass Hybriden zwischen X. hellerii und X. maculatus mit mehr oder weniger phänotypischen Merkmalen des Hambuger und Berliner Schwertträgers in ganz Deutschland in großem Umfang erzielt worden sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben mehr oder weniger viele Züchter zu den späteren stabilen Zuchtformen Hamburger und Berliner Schwerträger in sehr unterschiedlichen Umfang beigetragen. Die Bedeutung des Anteils der einzelnen Züchter ist aber keinesfalls mehr zu ermitteln, wobei sicherlich die Nachkommen der Züchtung von W. Hoffmann in Hamburg eine bedeutende Rolle spielen, was man aus der Veröffentlichung von Mädel (1916) vermuten kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass beim heutigen schwarzen Schwertträger viele damalige Kreuzungen beteiligt sind, ist sehr hoch. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass es heute genetisch sehr unterschiedliche Stämme geben muss, z. B. wurde eine Herkunft in strenger Inzucht 18 Generationen ohne wesentliche Sarkome vermehrt (Gentzsch 1995), was bei den meisten Hamburger Schwertträgern nicht zutrifft.

Es gibt nur eine Primärqelle über den Umzug eines Züchters von Hamburger und Berliner Schwertträgern von einem Ort zu einem anderen. Es handelt sich dabei um den Artikel von Brüning, (1916a), der darlegt, dass Herr Jahn den angeblich „schwarzen Xiphophorus“ beim Umzug von Berlin nach Hamburg mitgenommen hat. Ein besonderes Kuriosum dabei ist, dass dieser offensichtlich wie die Bilder und die Ausführungen von Brüning (1916a, c) zeigen, ein Berliner Schwertträger war.

Völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, dass der Berliner Schwertträger in Hamburg gezüchtet wurde. Es gibt darüber keinen Literaturhinweis. Somit ist die jahrzehntelange Annahme, dass der Hamburger Schwertträger in Berlin und der Berliner Schwertträger in Hamburg gezüchtet wurde, weitgehend falsch und eine populistische Meinung, die es aber in der Gesellschaft aber auch auf vielen Gebieten heute nach wie vor gibt. Das Positive dabei ist, dass wir Aquarianer eine eindeutige Unterscheidung der beiden Zuchtformen vornehmen können. Bemühen wir uns, diese als wertvolles Kulturgut für die Nachwelt zu erhalten.

 

Dr. Dieter Gentzsch

Kitzscher

 

 

 

Literatur

 

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